Page:Die Lais der Marie de France, hrsg. Warnke, 1900.djvu/23

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I. Die erzUhlendon Lals. V zu ergeben. Keins der Vorbilder der Marie oder eines anderen Dichters ist uns erlialten. Die Ansicht, die man wohl einen Augenblick hegte, iu der von Villemarquö in den Harzaz-Hreiz aufgezeichneten Ballade Ann Eostik das Vorbild oder vielmehr einen J^prössling des Vorbildes des Lalistic der Marie gefunden zu haben, hat sicii als irrig erwiesen, indem vielmehr fest steht, dass umgekehrt das neubretonische Lied selbst irgendwie von dem Gedieht der Marie abhängig ist. So sind wir bei dem Mangel an jeglichem Material, das uns direkt Auskunft geben könnte, auf den Schluss aus Indizien angewiesen, die uns die erzählenden französischen Lais selber, andere mittelalterliche Litteraturwerke sowie auch die geschichtlichen Verhältnisse der Zeit darbieten. Da ein sich derartig aufbauender Beweis nur ein Wahrscheinlichkeitsbeweis sein kann und da ausserdem die strittigen Fragen zum grossen Teil nicht nur die französische, sondern auch die keltische Litteraturwissenschaft angehen und ihre Beantwortung eine nicht eben häufige Beherrschung beider Litteraturen voraussetzt, so ist es begreiflich, dass trotz des Fleisses und des Scharfsinnes, der seit F. Wolfs epoche- machendem Buche und besonders in den letzten fünfzehn Jahren auf die Fragen nach dem Ursprung und nach der Ent- wickelung der ’Lais’ genannten Litteraturerzeugnisse verwandt ist, eine endgültige Anschauung sich noch nicht Bahn gebrochen hat. Auch die folgenden Zeilen werden diese nicht bringen. Immerhin mag die Einleitung zu den Lais der Marie die passende Stelle sein, um die bisher aufgestellten, oft zerstreuten Ansichten kurz zusammenzufassen und zu bes})rechen. Das Einteilungsprinzip für diese Auseinandersetzung ergiebt sich aus den Worten der Marie. Das, was die Dichterin für wert hielt im Prolog ihres Werkes zu berühren, enthält eben die Fragen, deren Lösung sich die Laisforschung noch heute augelegen sein lässt. Von welchem Volke gingen jene Lais, auf die die gleichfalls Lais genannten französischen Gedichte immer wieder zurückweisen, zuerst aus ? Was wissen wir von diesen Lais, was von ihrer Vortragsweise, was von ihrer Form und ihrem Inhalt ? Wie verhalten sich die uns vorliegenden französischen erzählenden Lais zu jenen verlorenen Lais, denen Marie und andere Dichter, wie sie versichern, einst lauschten ? Versuchen wir die Antwort auf diese Fragen zu finden !